Futures Literacy: Das Framework zur Zukunftskompetenz von Dr. Stefan Bergheim

Futures Literacy: Das Framework zur Zukunftskompetenz von Dr. Stefan Bergheim

Kürzlich hatte ich dir in diesem Beitrag die Zukunftskompetenz “Futures Literacy” vorgestellt. Vielleicht ging es dir nach dem Lesen, wie mir nach dem Schreiben des Artikels: So ganz begreifen konnte ich diese Kompetenz noch nicht. Aber jetzt! Dank der wissenschaftlichen Ausarbeitung von Stefan Bergheim “On the Competence of Futures Literacy”. Dr. Stefan Bergheim ist Direktor der gemeinnützigen Forschungseinrichtung ZGF (Zentrum für gesellschaftlichen Fortschritt) in Frankfurt am Main und hat ein Framework zur Beschreibung der Zukunftskompetenz entwickelt. Dieses Modell habe ich mir angesehen und stelle es dir in diesem Artikel vor.

Der Artikel “On the Competence of Futures Literacy” wurde im August 2024 auf der Plattform Research Gate veröffentlicht. Der Autor Dr. Stefan Bergheim bezeichnet sich selbst als “Designer und Begleiter von Zukünfteprozessen”, er beriet und unterstützte die Bundesregierung sowie die UNESCO in Fragen zu Lebensqualität und Zukünften und ist heute Direktor der Zentrums für gesellschaftlichen Fortschritt.

Hinweis: Der Beitrag zur Zukunftskompetenz wurde auf Englisch veröffentlicht, alle deutschsprachigen Zitate in diesem Beitrag wurden von mir mit DeepL übersetzt.

Die Kompetenz zur Zukunft

Mit dem Beitrag möchte der Autor eine genauere Beschreibung der “Futures Literacy” (Zukunftskompetenz) liefern. Die “Kompetenz” definiert er dabei folgendermaßen:

Kompetenz = Wissen + Können + Haltung

Dabei unterteilt er die Zukuntskompetenz in sechs Teilkompetenzen, jede dieser Teilkompetenzen ist in vier Kompetenzniveaus ausgeprägt. Die Ausprägungsstufen verdeutlichen seiner Ansicht nach auch die grundsätzliche Awendbarkeit der Zukunftskompetenz: “One core idea I like about Futures Literacy is that everybody anticipates and engages with futures. It is a general human competence.” (Stefan Bergheim, S.4)

Die 6 Teilkompetenzen der Futures Literacy

Basierend auf verschiedenen Publikationen, Kursbeschreibungen von Futures Literacy Trainings und Gesprächen mit Zukunftsforschenden hat der Autor seine sechs Teilkompetenzen der Futures Literacy entwickelt. Die jeweiligen Teilkompetenzen sind mit jeweils vier bis sieben Merkmalen ausgearbeitet. Ich stelle hier im Folgenden die Teilkompetenz und jeweils ein Merkmal aus den drei Kompetenzbestandteilen Wissen, Können und Haltung vor. Da die Übersetzung der Teilkompetenzen selbst nur schwer gelingt, bleibe ich der Verständlichkeit halber bei den englischen Bezeichnungen.

1. Complexity & Uncertainty Competence

  • Wissen: Das Verständnis dafür, dass lebende Systeme komplex – im Gegensatz zu kompliziert – sind, sowie für die Folgen und den Nutzen von Komplexität und der damit verbundenen Mehrdeutigkeit.
  • Können: Die Fähigkeit, Veranstaltungen und Prozesse zu konzipieren und durchzuführen, die die oben genannten Aspekte berücksichtigen.

2. Multiple Futures Competence

  • Wissen: Das Wissen, warum eine Vielzahl möglicher Zukünfte ein Merkmal komplexer Systeme ist.
  • Können: Die Fähigkeit, den Inhalt einer Vielzahl von Zukunftsperspektiven zu unterschiedlichen Themen zu analysieren und kritisch zu hinterfragen.
  • Haltung: Ein Bewusstsein für die ethische Dimension von Handlungen, von Werten und die Fähigkeit, mit unethischen Elementen angemessen umzugehen.

3. Imagination & Assumptions Competence

  • Wissen: Das Wissen über die verschiedenen Möglichkeiten, Zukunftsbilder zu offenbaren oder sichtbar zu machen, z. B. Sprechen, Schreiben, Zeichnen, Spielen, Gestalten.
  • Können: Die Fähigkeit, (antizipatorische) Annahmen verschiedener Art bei sich selbst oder anderen zu erkennen und sie potenziell in Frage zu stellen.
  • Haltung: Ein Bewusstsein für die psychologische Dimension und die Gefahren, die sich aus der Offenlegung tiefgreifender und persönlicher Antizipationssysteme und -prozesse ergeben – sowohl für den Einzelnen als auch für die Gruppe.

4. Reframe & Experiment Competence

  • Wissen: Verständnis für die Bedeutung des Trainings und Erweiterung der Vorstellungskraft.
  • Können: Fähigkeit, neue, alternative Annahmen zu erfinden und daraus eine neue Zukunft zu schaffen, um die Perspektiven zu erweitern.
  • Haltung: Bewusstsein für die individuellen mentalen Grenzen und die organisatorischen Konsequenzen der Horizonterweiterung.

5. Novelty & Emergence Competence

  • Wissen: Das Wissen um die Entstehung von Neuheit in komplexen adaptiven Systemen.
  • Können: Fähigkeit, neue, wichtige Fragen zu stellen, die Türen zu neuen Aufgaben öffnen können.
  • Haltung: Das Bewusstsein für die Herausforderungen des Übergangs von der Entstehung und Erfindung zur tatsächlichen Innovation in der Gegenwart.

6. Agency & Action Competence

  • Wissen: Das Wissen über die Zusammenhänge zwischen Antizipation, Zukunftsbildern und Handlungen in der Gegenwart.
  • Können: Die Fähigkeit, konkrete Handlungen zu identifizieren, die sich aus verschiedenen Zukunftsbildern ergeben.

Laut Stefan Bergheim stehen diese sechs Teilkompetenzen miteinander in Beziehung und ergänzen sich gegenseitig, ohne dass es eine Hierarchie zwischen ihnen gibt.

(Die sechs Teilkompetenzen der Zukunftskompetenz. Screenshot aus dem Dokument „On the Competence of Futures Literacy“ von Stefan Bergheim.)

Die vier Ausprägungslevel der Kompetenzen

Jede der sechs Teilkompetenzen kann in vier Ausprägungsleveln vorhanden sein:

Basic – Intermediate – Advanced – Specialized

Die Kombination der Teilkompetenzen mit den Ausprägungsgraden macht es theoretisch möglich ein Futures Literacy Kompetenzprofil zu erstellen und Trainingspläne individuell auszurichten. In den Kompetenzprofilen könnten demnach unterschiedliche “Zukunftskompetenz-Typen” benannt werden, z.B. “der Idealist”, der die Pluralität der Zukünfte zwar respektiert, aber (noch) nicht gut darin ist, in Alternativen zu denken (hoher Wert in Teilkompetenz 2, niedriger Wert in Teilkompetenz 4).

(Hypothetische Kompetenzprofile nach Messung der sechs Teilkompetenzen und ihrer Ausprägungen. Screenshot aus dem Dokument „On the Competence of Futures Literacy“ von Stefan Bergheim.)

Die Frage der konkreten Messbarkeit

Der Autor beschreibt in seinem Framework die möglichen Teilkompetenzen, welche zusammen die Zukunftskompetenz ergeben. Er thematisiert außerdem die Frage der Messbarkeit dieser Kompetenzen, damit sie z.B. für Trainingssituationen anwendbar werden. “Work in progress is about how to diagnose or measure the different competence levels.” (Stefan Bergheim, S. 11). Er vermutet, dass die verschiedenen Ausprägungsstufen unterschiedliche Messaktivitäten notwendig machen, z.B. konkrete einfache Fragen zu Alltagshandlungen im Basic-Level hin zu erklärungsbedürftigen, komplexen Fragen für das Specialized-Level. Hier bedarf es noch weiterer Ausarbeitung, damit das Framework praktisch angewendet werden kann.

Meine Einschätzung

Mir gefällt die Konkretisierung der Zukunftskompetenz, denn sie macht das abstrakte Konstrukt besprechbar und alltagsnah. Das Framework scheint mir hinreichend detailliert und nicht zu kompliziert zu sein, um verschiedene Facetten und Ausprägungsstufen der Zukunftskompetenz abzubilden. Für mich geben die Teilkompetenzen + Ausprägungsstufen einen guten Einblick und Orientierungshilfe bezüglich der recht abstrakt anmutenden “Futures Literacy”. Ich bin gespannt auf die weitere Ausarbeitung der Messbarkeit der Teilkompetenzen, durch die die Anwendungsmöglichkeiten sehr steigen würden. Danke an Stefan Bergheim für diese Ausarbeitung!

Den vollständigen Artikel “On the Comptence of Futures Literacy” kannst du hier bei Research Gate herunterladen. 

(Das Beitragsbild stammt von Ojus Jaiswal auf Unsplash)


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